- Wycliffe: Kritiker und Theologe
- Wycliffe: Kritiker und TheologeDie Geschichte des abendländischen Europa wurde im 14. Jahrhundert durch die immer offener zutage tretende Krise des Papsttums und der Kirche geprägt.Vor diesem Hintergrund fiel das Wirken des Oxforder Theologen John Wycliffe (ca. 1320-84) auf fruchtbaren Boden. Geboren in Yorkshire, wurde er 1372 promoviert und zum Professor an die Universität Oxford berufen. Unter dem Schutz einflussreicher Gönner griff er in Schriften und Predigten scharf die Missstände in der Amtskirche an. Während er anfangs noch von den Bettelorden unterstützt wurde, nahmen seine Angriffe unter dem Eindruck des Abendländischen Schismas immer radikalere Formen an, die ihn in zunehmendem Maße von seinen Anhängern und adligen Gönnern isolierten.Für Wycliffe wurde die Kirche nicht durch Papsttum und Klerus, sondern durch die unsichtbare Gemeinschaft der von Gott Erwählten repräsentiert, während die bestehende Amtskirche dem Antichrist verfallen und damit zur ewigen Verdammnis bestimmt sei. In unversöhnlichen Gegensatz zur kirchlichen Lehrmeinung geriet Wycliffe, indem er die materielle Gegenwart Christi bei der Eucharistiefeier leugnete und nicht nur die Schlüsselgewalt des Papstes, sondern eines jeden Priesters ablehnte, da vor Gott nicht Sündenbekenntnis und Sündennachlass, sondern allein der innere Gnadenstand der Gläubigen von Bedeutung sei. Da nach Wycliffes Auffassung die Begegnung mit Gott nicht über Priester und Mönche, sondern aus der Heiligen Schrift erwachse, sah er sich gegen Ende seines Lebens veranlasst, zusammen mit seinen Schülern den lateinischen Text der Bibel in die englische Sprache zu übersetzen.Obwohl ein großer Teil seiner Thesen 1377 von Papst Gregor XI. verworfen wurde, bewahrten ihn das ausbrechende Schisma sowie der starke Rückhalt, den er beim Adel und im Parlament hatte, vor Verfolgung. Er musste sich zwar 1383 auf seine Pfarre nach Lutterworth (Leicestershire) zurückziehen, konnte von dort aus aber bis zu seinem Tod seine Thesen weiter verbreiten. Seine Lehren, die später von Jan Hus in Böhmen aufgegriffen wurden und großen Einfluss auf die Vorreformation hatten, wurden 1415 vom Konstanzer Konzil ausdrücklich als ketzerisch verurteilt.
Universal-Lexikon. 2012.